Der Zweck des vorliegenden Technischen Heftes besteht darin, eine neue Technik der Selektivität der Abschaltungen im Kurzschlussfall vorzustellen: die Energieselektivität. Sie ist einfacher und wirksamer als die herkömmlichen Selektivitätstechniken und wird bei der für die NS-Verteilung verwendeten Leistungsschalterreihe Compact Typ NS angewendet.

Nach einer kurzen Übersicht über die herkömmlichen Selektivitätstechniken betrachten die Autoren das Verhalten der Leistungsschalter und der verschiedenen Auslöser unter einem energetischen Gesichtspunkt. Hierauf zeigen sie auf, dass die vollständige Selektivität bis zum Ausschaltvermögen der Leistungsschalter über mehrere Ebenen möglich ist, ohne die Zeitselektivität anzuwenden.
Definition
In einer elektrischen Anlage sind die Verbraucher über eine Reihe von Schutz-, Schalt- und Steuereinrichtungen mit dem Stromerzeuger verbunden. Das vorliegende Technische Heft behandelt im Wesentlichen die Schutzfunktion der Leistungsschalter. Bei einer strahlenförmigen Verteilung (siehe Abb. 1) besteht das Ziel der Selektivität darin, den fehlerhaften Verbraucher oder Abgang, jedoch nur diesen, vom Netz zu trennen, um eine maximale Kontinuität des Betriebs aufrechtzuerhalten.

Bei fehlender oder mangelhafter Selektivitätsuntersuchung kann eine elektrische Störung mehrere Schutzeinrichtungen auslösen. In diesem Fall kann ein einziger Fehler einen mehr oder weniger großen Teil der Anlage abschalten. Das Ergebnis ist ein unerwünschter Verlust der Verfügbarkeit elektrischer Energie an den intakten Abgängen. Die in einer Anlage vorkommenden Überströme sind von verschiedener Art:
- Überlast,
- Kurzschluss,
- Einschaltstromspitzen,
jedoch auch
- Fehlerströme gegen Erde, - Ausgleichsströme infolge eines momentanen Tals oder Fehlens der Spannung.
Um eine maximale Kontinuität des Betriebs zu gewährleisten, müssen untereinander koordinierte Schutzeinrichtungen verwendet werden. Es muss darauf hingewiesen werden, dass diese Spannungstäler das ungewollte Öffnen der Leistungsschalter durch Unterspannungsauslöser bewirken können.
Jeder Fehlerart entspricht eine bestimmte Schutzeinrichtung (Überlastschutz, Kurzschlussschutz, Erdschlussstromschutz, Unterspannungsschutz usw.). Ein Fehler kann jedoch direkt oder indirekt mehrere Arten von Schutzeinrichtungen auslösen.
Beispiele:
- Ein hoher Kurzschlussstrom bewirkt ein Spannungstal und kann den Unterspannungsschutz auslösen.
- Ein Isolationsfehler kann gleichzeitig von einem Differentialschutz als einpoliger Kurzschluss und von einem Kurzschlussschutz als Überstromfehler erachtet werden (dies betrifft die Erdungsschemas TN und IT).
- Ein hoher Kurzschlussstrom kann (im Fall des Erdungsschemas TT) infolge von lokalen Sättigungen des Summenstrom- Wandler, wodurch ein falscher einpoliger Strom erzeugt wird, das Ansprechen des Erdschlussstromschutzes bewirken.
In diesem Rahmen zeigt sich die Selektivität sehr einfach am Öffnen oder nicht Öffnen von mehreren Leistungsschaltern (siehe Abb. 2).

Vollständige Selektivität
Die Verteilung wird vollständig selektiv genannt, wenn, und nur wenn, unabhängig vom Wert des Fehlerstroms von den vom Fehlerstrom betroffenen Schutzeinrichtungen sich nur die unmittelbar vorgeordnete öffnet und offen bleibt.
Teilselektivität
Die Selektivität wird Teilselektivität genannt, wenn die obige Bedingung von einem bestimmten Wert des Fehlerstroms an nicht mehr eingehalten wird.
In einer Verteileranlage können zwei Arten von Überstromfehlern angetroffen werden:
- Überlast,
- Kurzschluss.
Im Allgemeinen werden Überströme zwischen dem 1,1- und 10fachen Wert des Betriebsstroms als Überlast bezeichnet. Darüber hinaus handelt es sich um Kurzschlüsse, die in möglichst kurzer Zeit mit Hilfe von Schnellauslösern (INS) oder Auslösern mit kurzer Verzögerung (CR) des Leistungsschalters abgeschaltet werden müssen. Die Selektivitätsuntersuchung unterscheidet je nach der Art des Fehlers:

Dieser Bereich liegt oberhalb der Auslöseschwelle ILR des Auslösers mit langer Verzögerung (LR). Die Auslösekennlinie tC = f (Ip) wird in der Regel zur besseren Übereinstimmung mit der Kurve der thermischen Belastbarkeit der Kabel mit invertierter Zeitskala dargestellt.
Die bekannte und weit verbreitete Methode besteht darin, die Kennlinien der vom Fehler betroffenen LR-Auslöser in einem doppeltlogarithmischen System aufzuzeichnen (siehe Abb. 3). Für einen beliebigen Wert des Überstroms ist die Überlast-Selektivität gewährleistet, wenn die Zeit für die Nichtausschaltung des vorgeordneten Leistungsschalters D1 länger ist als die maximale Ausschaltzeit (einschließlich der Lichtbogenzeit) des Leistungsschalters D2 . Diese Bedingung wird in der Praxis erfüllt, wenn ILR1 /ILR2 > 1,6.
Kurzschlussbereich
Hier wird die Selektivität durch Vergleich der Kennlinien des vorgeordneten und des nachgeordneten Leistungsschalters beurteilt. Die Techniken zum Erzielen der Kurzschlussselektivität zwischen zwei Leistungsschaltern beruhen auf der Verwendung von Leistungsschaltern und/ oder Auslösern verschiedener Art oder mit verschiedenen Einstellungen, um zu verhindern, dass sich die Kennlinien überdecken. Diese Techniken sind zahlreich und werden im folgenden Kapitel beschrieben.