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Verantwortung und Haftung - Gefährdungsbeurteilung
Zur Vorbeugung von Gefahren und Unfällen sollte der Arbeitsplatz regelmäßig auf mögliche Risiken überprüft werden. Diese sogegannte Gefährdungsbeurteilung fällt laut BGB unter die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und wird durch das Arbeitsschutzgesetz und die Betriebssicherheitsverordnung geregelt.
205 5 Gefährdungsbeurteilung ausführt. Die Berücksichtigung der gegenseitigen Interessen gemäß § 241 Abs. 2 BGB wird aber den Arbeitnehmer zu einer Ankündigung mit Fristset-zung verpflichten [5, ebenda Rn. 99]. Auch bei anderen Arbeitsschutzverlet-zungen, wie fehlende Unterweisungen, nicht durchgeführte arbeitsmedizi-nische Pflicht- und Angebotsuntersuchungen oder Zurverfügungstellung unsicherer Arbeitsmittel wäre die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts denkbar. § 17 Abs. 2 ArbSchG zeigt eine weitere Option auf: die Anzeige bei einer Arbeitsschutzbehörde (siehe auch Abschnitt B 2.13). Diese kommt trotz gesetzlicher Sanktionierung aber nur als ultima-ratio, also allerletztes Mittel, in Betracht [5, ebenda Rn. 14]. Auch wird eine unberechtigte Aus-übung des Zurückbehaltungsrechts stets eine Arbeitsverweigerung sein. 5.10 Prüfungen Prüfungen sind regelmäßig geeignet, der Kontrollpflicht nachzukommen. Mit ihnen wird der vorgefundene Istzustand mit dem Sollzustand vergli-chen. Wie man der TRBS 1201 entnehmen kann, gibt es verschiedene Ar-ten von Prüfungen, die ihrerseits unterschiedliche Anforderungen an die Prüfer stellen. Alle Anforderungen beinhalten allerdings die gemeinsame Basis, nach der der Prüfer den Sollzustand kennen muss. Jede Prüfung wird zu dem Zweck durchgeführt, aus Vergleich zwischen Soll- und Istzustand die Notwendigkeit oder eben Entbehrlichkeit von Maßnahmen zur Verände-rung des Zustands abzuleiten. Kennt der Prüfer den Sollzustand nicht, so er-übrigt sich jede Diskussion über Qualifikationen, denn dann kann er noch so lange prüfen: es wird kein brauchbares Ergebnis geben. Daher kommt es neben dem manchmal gesetzlich vorgeschriebenen Status des Prüfers als Sachkundiger oder befähigte Person in erster Linie auf dessen Wissen um den Sollzustand an. 5.10.1 Normstand In der Praxis kommt häufig die Frage, nach welchem Normstand zu prüfen sei. Grundsätzlich gilt ja eine elektrische Anlage dann für ordnungsgemäß errichtet, wenn die zum Zeitpunkt ihrer Errichtung gültigen Bestimmungen eingehalten wurden. Hiermit ist der Grundstein für eine unerträgliche Be-standsschutzdiskussion gelegt. Diese wird unter Bezugnahme auf Artikel 14 Grundgesetz, dem Eigentumsschutz, aber in die Richtung geführt, dass an klar_verantwortung.indb 205 18.07.2016 16:57:55 Uhr
B Besonderer Teil 206 einer einmal errichten Anlage und einem einmal erworbenen oder herge-stellten Arbeitsmittel keine Veränderungen zu verlangen seien. Natürlich gibt es Bestandsschutz, aber nur dergestalt, dass dieser für sichere Installa-tionen und Arbeitsmittel gilt. Entwickelt sich der Stand der Technik weiter und sind an der elektrischen Anlage oder dem Arbeitsmittel Unfälle zu be-fürchten, so kann es keinen Bestandsschutz geben. Ein solcher Bestand-schutz hätte den Status eines Nichtnachrüstschutzes oder eines Freibriefs für Unfälle. Die wohl absurde Begründung für einen tödlichen Unfall wäre dann, dass der Verunfallte aufgrund des Bestandsschutzes der Anlage recht-mäßig verstorben sei. Da sich hier die Grundrechte der Artikel 2 und 14 Grundgesetz im Konflikt befinden, würde auf dem Wege der praktischen Konkordanz (dem Ausgleich zwischen Grundrechten) immer der Artikel 2 – das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit – gewinnen. Dies hat auch der Gesetzgeber so gesehen: Befindet sich die elektrische Anlage in ei-ner Arbeitsstätte, so ist bei deren Zustand nach § 3a ArbStättV der Stand der Technik zu berücksichtigen. Da dieser ständig fortschreitet, gibt es keinen statischen Bestandsschutz. Für Arbeitsmittel befindet sich die gleiche Forde-rung in § 3 Abs. 7 BetrSichV. Im Mietrecht der § § 535 ff BGB ist die Miet-sache in einem gebrauchsfähigen Zustand zu erhalten. Dies schließt aller-dings auch die Abwehr von Gefahren, die sich aus der Mietsache ergeben, ein. Damit wäre auch hier, sofern sich ein unsicherer Zustand feststellen lässt, nachzurüsten, um den vertragsmäßigen Gebrauch der Mietsache wei-terhin zu gewährleisten. Zurück zum Normstand: Hier bestehen wohl zwei Auffassungen. Eine geht unter Berücksichtigung des vorstehenden Absatzes davon aus, dass der Normstand zum Zeitpunkt der Errichtung zugrunde zu legen ist. Allerdings ist dieser häufig schwierig zu ermitteln. Zudem wären zwischenzeitliche Nachrüstverpflichtungen einzeln in ihrer zeitlichen Abfolge zu beachten. Vorzuziehen wäre daher eine Prüfung jeweils nach neuester Norm als Sollzustand. Dem Betreiber wird dann die Abweichung dargestellt. Er muss nun für seinen Herrschaftsbereich festlegen, welche Abweichung unter Be-rücksichtigung eines sicheren Betriebs unter seinen individuellen Bestands-schutz fällt und wo nachzubessern ist. klar_verantwortung.indb 206 18.07.2016 16:57:55 Uhr
207 5 Gefährdungsbeurteilung 5.10.2 Wann entspricht eine elektrische Anlage nicht mehr den Regeln der Technik? Eine elektrische Anlage entspricht dann nicht mehr den allgemein aner-kannten Regeln der Technik, wenn sie sich in einem Zustand befindet, der von dem in den Regeln der Technik beschriebenen abweicht. Diese Feststel-lung ist ebenso selbstverständlich wie tautologisch. § 49 Abs. 1 Satz 1 En-WG gibt vor, dass Energieanlagen, zu denen elektrische Anlagen gehören, so zu errichten und zu betreiben sind, dass die technische Sicherheit ge-währleistet ist. Betreiben beinhaltet das Benutzen wie das Instandhalten (vgl. § 2 Abs. 6 ArbStättV). Nach § 13 Abs. 2 Satz 2 NAV ist dazu die elektri-sche Anlage nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik zu errich-ten, zu erweitern, zu ändern und instand zu halten. Kapitel 4.1.101 der DIN VDE 0105-100:2015-10 geht davon aus, dass die elektrische Anlage entsprechend den Errichternormen in einem ordnungsgemäßen Zustand zu erhalten sind. Also ist jeder Mangel gegenüber den Errichternormen eine Abweichung, die dazu führt, dass die Anlage nicht mehr den allgemein an-erkannten Regeln der Technik entspricht. Keine Skalierung vorgegeben Keine Rechtsvorschrift gibt eine Abstufung zur Bewertung der Mängel im Sinne einer Skala von leicht, mittel oder schwer/gravierend vor. Es ist also zunächst davon auszugehen, dass sowohl Gesetz- als auch Regelungsgeber dies nicht beabsichtigten. Vielmehr ist jeder Mangel eine Abweichung, die unter Berücksichtigung der örtlichen und individuellen Gemengelage be-wertet werden muss. Anders kann es auch gar nicht sein. Jede Skalenvorga-be führt zur Einführung unbestimmter, also auslegungsbedürftiger Rechtsbe-griffe, die dann nach Ausfüllung und Kommentierung verlangen. Was für den einen ein leichter Mangel ist, kann der andere als gravierend ansehen. Ein Betreiber einer elektrischen Verteileranlage kann das Fehlen von Doku-mentation zunächst als einen leichten Mangel betrachten, weil er die Anla-ge für übersichtlich hält – später kann sich anlässlich von Schwierigkeiten bei der Erweiterung diese Sichtweise in gravierend ändern. Tatsächlich, und so sehen es alle Vorschriften, ist eine individuelle Bewertung erforderlich, die meist Gefährdungsbeurteilung genannt wird. Risikobeurteilung und Grenzrisiko Im Prüfbericht wird zunächst nüchtern ausgewiesen, dass die Anlage nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht. Nun ist es am Betreiber jeden einzelnen Mangel zu bewerten. Einen Anhaltspunkt gibt klar_verantwortung.indb 207 18.07.2016 16:57:55 Uhr
B Besonderer Teil 208 Kapitel 4.1.102 der DIN VDE 0105-100: „Werden an oder in elektrischen Anlagen Mängel beobachtet, die eine Gefahr für Personen, Nutztiere oder Sachen zur Folge haben [können], so sind unverzüglich Maßnahmen zur Be-seitigung der Mängel zu treffen“. Hiernach sind nun die festgestellten Män- gel im Bezug auf ihre Gefährlichkeit zu analysieren. Dabei sind die Grenz-werte der Normen vorweggenommene Risikobeurteilungen. Sie stellen also bereits das Grenzrisiko dar, welches Sicherheit von Gefahr trennt und gera-de noch akzeptabel ist. Natürlich darf in der Praxis nicht blind auf Grenz-werteinhaltung geprüft werden. Hier sind Erwartungswerte, die unter den Grenzwerten liegen müssen und sich an Material- oder Installationsparame-tern orientieren, abzuprüfen. Verantwortlichkeit des Betreibers Das Feststellen des Prüfergebnisses „entspricht nicht den allgemein aner-kannten Regeln der Technik“ in einem Prüfbericht führt aber nicht zwangs- läufig zur Außerbetriebnahme der Anlage. Das Ziehen einer solchen Konse-quenz ist nicht Aufgabe des Prüfers/Ersteller des Prüfberichts, sondern des Betreibers. Die Verantwortlichkeit des Betreibers ergibt sich grundsätzlich aus seiner Verkehrssicherungspflicht aufgrund § 823 BGB sowie seiner Ga-rantenstellung kraft Sachbeherrschung (Strafgesetz i.V.m. § 13 StGB). Stellt die elektrische Anlage darüber hinaus noch einen Teil einer Arbeitsstätte dar, so ist auch noch die Arbeitsstättenverordnung in Verbindung mit dem Arbeitsschutzgesetz einschlägig. Hier wird sogar die Berücksichtigung des Stands der Technik gefordert, der meist über die Regeln der Technik hinaus-geht. Ist die elektrische Anlage Arbeitsmittel, so wäre auch die Betriebssi-cherheitsverordnung heranzuziehen. Außerhalb dieser Sondervorschriften gilt, dass die elektrische Anlage den Bestimmungen zum Zeitpunkt ihrer Er-richtung entsprechen muss, wobei zwischenzeitliche Anpassungsvorschrif-ten umzusetzen gewesen wären. Diese Feststellung mündet dann – wie in Abschnitt B 5.10.1 bereits festgestellt – regelmäßig in die Bestandsschutz-diskussion. Dieser sollte aber ein Prüfer nicht ausgesetzt werden. Vielmehr sei zu empfehlen, den Zustand der elektrischen Anlage auf Basis der jeweils aktuellsten Norm zu prüfen, Abweichungen darzustellen und die Bewertung dem Betreiber zu überlassen. Allen modernen Vorschriften ist gemein, dass sie es grundsätzlich zulassen, eine gleichwertige Sicherheit auch auf ande-rem Wege als der Beachtung der allgemein anerkannten Regeln der Technik zu erreichen. Dabei geht allerdings die Vermutungswirkung verloren (vgl. § 49 Abs. 2 EnWG, § 3a Abs. 1 Satz 3 ArbStättV, Vorworte zu den TRBS), und man muss im Ernstfall diese Gleichwertigkeit beweisen. klar_verantwortung.indb 208 18.07.2016 16:57:55 Uhr
209 5 Gefährdungsbeurteilung 5.10.3 Erstprüfung Es gibt häufig unterschiedliche Auffassungen, ob Erst- oder Inbetriebnahme-prüfungen erforderlich sind. Die vorhandenen gesetzlichen und unfallversi-cherungsrechtlichen Vorschriften bieten aktuell auch kein einheitliches Bild. Eine Erst- oder Inbetriebnahmeprüfung sehen aktuell vor: ❚ § 4 Abs. 5 BetrSichV: Überprüfung von Schutzmaßnahmen, ❚ § 14 Abs. 1 BetrSichV: wenn die Sicherheit von den Montagebedingun-gen abhängt, ❚ § 5 Abs. 1 Nr. 1 DGUV-V3: immer. Dagegen lassen folgende Vorschriften ein Absehen von der Erstprüfung zu: ❚ § 3 Abs. 4 BetrSichV: Vertrauen auf die vom Hersteller gelieferten Infor-mationen, ❚ § 5 Abs. 4 DGUV-V3: Vorliegen einer Herstellererklärung. Im § 3 Abs. 1 BetrSichV wird jetzt allerdings klargestellt, dass die CE-Kenn-zeichnung keine ausreichende Arbeitsschutzqualität hat. Es ist in jedem Fall eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Daraus ergibt sich zusammenfassend folgendes Bild:Das Überprüfen der Schutzmaßnahmen, welches grundsätzlich nicht zwingend durch befähigte Personen erfolgen muss, ist für elektrische Ar-beitsmittel nur mittels Einsatz von geeigneten Prüfgeräten möglich. Die elektrotechnischen Schutzmaßnahmen lassen sich nicht vollumfänglich durch laienhafte Inaugenscheinnahme verifizieren. Daher ist bei elektri-schen Arbeitsmitteln immer eine Erstprüfung nach § 4 Abs. 5 BetrSichV zum Beispiel durch eine Elektrofachkraft erforderlich. Diese Prüfung kann nur aufgrund einer vorliegenden Herstellererklärung nach § 5 Abs. 4 DGUV-V3 in Verbindung mit § 3 Abs. 4 BetrSichV entfallen. Zweckmäßigerweise lässt man sich neben der Herstellererklärung auch die Dokumentation des Herstellers aushändigen, die aufzeigt, wie der Hersteller zu der Erklärung kommt. Damit verfügt man über Anhaltspunkte für eine Wiederholungsprü-fung. Bei elektrischen Maschinen und komplexen Arbeitsmitteln sollte be-reits beim Einkauf oder einer individuellen Konfektionierung aufgrund eines Pflichten- bzw. Lastenhefts an die Erstellung einer Prüfdokumentation für Wiederholungsprüfungen gedacht werden. Diese wäre dann vom Hersteller zu liefern, wenn dies im Vertrag entsprechend vereinbart wurde. In jedem Fall ist jedoch immer eine eigene visuelle Zustands- und Ordnungsprüfung erforderlich. klar_verantwortung.indb 209 18.07.2016 16:57:55 Uhr
B Besonderer Teil 210 Auch ein vielfach von den Elektrotechnikern bemängelter Zustand wird im § 3 Abs. 3 BetrSichV aufgegriffen. Mit der Gefährdungsbeurteilung soll nämlich künftig bereits vor Auswahl und Beschaffung von Arbeitsmitteln begonnen werden. Damit wird hoffentlich ein in der Praxis vielfach vorzu-findender Zustand beendet, bei dem sich der Einkauf vom Verwender abge-koppelt hat. Als befähigte Personen tätige Elektrofachkräfte beklagten häufig das Phänomen, dass ihnen Arbeitsmittel zur Prüfung vorgelegt wurden, die für den Einsatzzweck oder die Einsatzumgebung gar nicht geeignet waren. Diese sollten dann auch unter nachdrücklichem Verweis auf die wirtschaft-lichen Folgen gesundgeprüft werden. Nunmehr ist klargestellt, dass der Ver-wender und nicht der Einkauf die Sicherheitsparameter vorgibt. Ob dies ein Ende des billig-will-ich darstellt, bleibt abzuwarten. Da allerdings die Ver-wendung von nicht der Gefährdungsbeurteilung entsprechenden Arbeits-mitteln nach § 22 Abs. 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 BetrSichV eine Ordnungswidrigkeit darstellt, könnte es zu einer nachhaltigen Heilung si-cherheitswidriger Zustände über das Portmonee kommen. 5.10.4 Wiederholungsprüfung Bei Wiederholungsprüfung ist die Rechtssituation deutlich einfacher. Nach § 14 Abs. 2 BetrSichV sind Arbeitsmittel, die Schäden verursachenden Ein-flüssen ausgesetzt sind, die zur Gefährdung von Beschäftigten führen kön-nen, regelmäßig zu prüfen. Hier besteht insoweit Einigkeit mit § 5 Abs. 1 Nr. 2 DGUV-V3. Darüber hinaus können anlassbezogene Prüfungen entspre-chend § 14 Abs. 3 BetrSichV notwendig sein. Für Wiederholungsprüfungen ist es sinnvoll, wenn die Prüfprotokolle vorangegangener Erst- oder Wieder-holungsprüfungen vorliegen. Man kann daraus sehr gut Tendenzen zur Zu-standsentwicklung ableiten oder die Gewichtung auf andere Teilprüfungen legen und sich darauf konzentrieren, was vielleicht letzthin etwas weniger stark betont wurde. Wie verhält man sich nun, wenn die Protokolle der vor-hergehenden Prüfung nicht vorhanden sind? Die treffende Vorschrift für den Betrieb elektrischer Anlagen ist DIN VDE 0105-100:2015-10. Im Kapitel 5.3.3.101 finden sich Erläuterungen zu Wie-derholungsprüfungen. Grundsätzlich sollen nach Kapitel 5.3.3.101.0.1 „wenn immer möglich, […] Berichte und Empfehlungen von vorhergehen-den wiederkehrenden Prüfungen berücksichtigt werden. “ Die durch die Wiederholungsprüfung nachzuweisenden Schutzziele sind dann in Kapitel 5.3.3.101.0.2 a) bis d) aufgeführt und konkretisieren die klar_verantwortung.indb 210 18.07.2016 16:57:55 Uhr
211 5 Gefährdungsbeurteilung Forderungen aus § 3a Abs. 1 der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV). Ver-bindlichkeit für den Betreiber erlangt die DIN VDE 0105-100 über § 2 Abs. 2 in Verbindung mit Anhang 3 der DGUV-Vorschrift 3, welche diese VDE-Vorschrift als eine von drei Vorschriften zu einer einzuhaltenden elektro-technischen Regel im Sinne der Unfallverhütungsvorschrift erklärt. Wäh-rend Kapitel 5.3.3.101.0.1 für Wiederholungsprüfungen je nach Bedarf und den Betriebsverhältnissen Stichproben zulässt, enthält Kapitel 5.3.3.101.0.2 den abschließenden Hinweis, dass wenn „kein vorhergehender Prüfbericht verfügbar ist, […] weitergehende Untersuchungen erforderlich“ sind. Vorschriftenstand Hinsichtlich des anzuwendenden Vorschriftenstandes ist nach Kapitel 4.1.101 sowie Anmerkung 1 zu Kapitel 5.3.3.101.0.2 der DIN VDE 0105-100:2015-10 davon auszugehen, dass die elektrische Anlage den zum Zeit-punkt der Errichtung/letzten Änderung gültigen Vorschriften entsprechen soll. Trotz des alten Vorschriftenstandes „bedeutet [dieses] nicht notwendi-gerweise, dass diese Anlagen unsicher sind.“ Lässt sich der Vorschriften- stand zum Errichtungs- bzw. Änderungszeitpunkt nachträglich nicht mehr feststellen, weil dementsprechende Unterlagen fehlen, so kann nur empfoh-len werden, nach aktuellem Vorschriftenstand zu prüfen und dabei aufge-deckte Abweichungen kritisch zu hinterfragen und mit Blick auf die Schutz-ziele zu bewerten. Diese Sichtweise wurde bereits oben dargestellt. 5.10.5 Festlegen von Prüffristen Ein weiteres beliebtes Streitthema ist das Festlegen von Prüffristen. Sofern nicht in anderen Gesetzen verbindliche Prüffristen vorgeschrie- ben werden, sind die in der DGUV-Vorschrift 3 § 5 Tabelle 1A sowie der TRBS 1201 Tabellen 2 und 3 aufgeführten Prüffristen allesamt Empfehlun-gen. In der TRBS 1201 wird dies sogar ausdrücklich über die Tabellen ge-schrieben. Grundsätzlich kann also der Arbeitgeber im Rahmen der Gefähr-dungsbeurteilung neben Prüfart und Prüfumfang auch die Prüffrist selbst festlegen. Allerdings handelt es sich um bewährte Empfehlungen, in die einerseits Fachverstand und andererseits „Blut und Tränen“ geflossen sind. Insbesondere die TRBS nehmen für sich in Anspruch, den Stand der Tech-nik wiederzugeben. Bei Beachtung der TRBS kann der Anwender davon ausgehen, dass die Anforderungen der Betriebssicherheitsverordnung erfüllt sind. Wird jedoch eine andere Lösung gewählt, so muss damit die gleiche klar_verantwortung.indb 211 18.07.2016 16:57:55 Uhr
B Besonderer Teil 212 Sicherheit und der gleiche Gesundheitsschutz erreicht werden. Dies muss nicht nur im Ernstfall bewiesen, sondern auch gleich in der Gefährdungsbe-urteilung dokumentiert werden. Während man beim Beachten die Vermu-tungswirkung richtigen Handelns auf seiner Seite hat, trägt man bei Abwei-chen im Ernstfall die Beweislast. Wer dann erst mit der „Beweisbeschaffung“ beginnt, hat so gut wie verloren. Zwar wäre es ein juristischer Zirkelschluss oder auch Rückschaufehler vom Ergebnis auf einen Fehler im Prozess zu schließen (hier wäre mindestens noch die Kausalität zu untersuchen und auch Alternativmöglichkeiten abzuprüfen), aber durch den Eintritt eines schädigenden Ereignisses stehen die Verantwortungsträger im Ermittlungs-fokus. Gefährdungsbeurteilung braucht Begründung Der Arbeitgeber muss in der Gefährdungsbeurteilung darstellen, auf Basis welcher allgemein zugänglicher Erkenntnisse und betrieblicher Erfahrungen der Zeitraum zwischen zwei Prüfungen abweichend von den Empfehlungen verlängert wurde. Dies kann beispielsweise sehr gut beim Abweichen von vorgesehenen Einsatzbedingungen nach unten erfolgen: Für eine für den rauen und täglichen Baustellenbetrieb vorgesehene und ausgestattete Bohr-maschine kann bei tatsächlichem nur gelegentlich erfolgendem Einsatz im Werkstattbereich eine längere Prüffrist als für Werkstätten üblich nachvoll-ziehbar angenommen werden. Ob man sich immer eine deutlich bessere als für den Einsatzweck und die Einsatzumgebung benötigte Ausstattung gönnt, nur um Prüffristen verlängern zu können, muss jeder für sich beantworten. Sicherheitstechnische Erwägungen im Vordergrund Beim Verlängern von Prüffristen sollte man sich aber immer von sicherheits-technischen Erwägungen und nicht vom latent mitschwingenden wirtschaft-lichen Druck leiten lassen. In günstigen Fällen werden beide Ansätze dek-kungsgleich sein. Andererseits kosten Prüfungen natürlich Geld und verursachen betrieblichen und organisatorischen Aufwand. Aber letztlich sind nur so Sicherheit und Gesundheitsschutz zu gewährleisten. Es gibt ge-nügend Ansätze, die Prüfungen Aufwand optimierend in ein ganzheitliches Prüf- und Betriebskonzept einzubinden. Dies soll hier nicht vertieft werden. Herstellerempfehlungen sind bedeutend Sich allerdings über Herstellerempfehlungen hinwegzusetzen, ist sehr ge-wagt. Solche Herstellerempfehlungen basieren meist auf Risikobeurteilun-gen, die der Hersteller im Rahmen seiner Produktentwicklung auch mit klar_verantwortung.indb 212 18.07.2016 16:57:55 Uhr
5 Gefährdungsbeurteilung 213 Blick auf das Produktsicherheitsgesetz und das Produkthaftungsgesetz durchführt. Wer kennt das Produkt besser als der Hersteller? Um sich also über dessen Empfehlungen hinwegzusetzen und von ihm empfohlene Prüf-fristen zu verlängern, müssten – um dies überhaupt rechtssicher darstellen zu können – eigene umfangreiche Testreihen und Vergleichsstudien ange-fertigt werden. Nur so käme man am Ende des Tages zu einer belastbaren Aussage, die eine Verlängerung der Prüffrist über die Empfehlung des Her-stellers hinaus tragen könnte. Nicht umsonst sind nach TRBS 1201 Kap. 3.5.2 (2) die Herstellerhinweise neben den zu betrachtenden Einsatzbedin-gungen eine bedeutende Erkenntnisquelle für die Fristenermittlung. Es dürfte einsichtig sein, dass die Möglichkeiten in den Unternehmen im Rah-men der Gefährdungsbeurteilung zu anderen Erkenntnissen zu gelangen, recht begrenzt sind. Hier besteht eher die Gefahr, einem pseudo-empiri-schen Nichts-passiert-Glück-gehabt-Ansatz aufzusitzen und darauf die Si-cherheitsstrategie aufzubauen. Letztlich ist das aber ebenfalls ein Rück-schaufehler. Spezialfall RCD Hier muss man sich den Sinn der halbjährigen Betätigung der Prüftaste vor Augen führen. Im Rahmen dieser Prüfung werden keine Auslösezeiten und -ströme ermittelt, weshalb nicht auf die Einhaltung der Betriebs- und Instal-lationsparameter geschlossen werden kann. Vielmehr dient das Betätigen der Prüftaste dem Auslösen der im RCD enthaltenen Mechanik. Diese kann ermüden. Die Lager können sich verfestigen. Der Ferritkern des Summen-stromwandlers kann (z. B. durch Gleichstromanteile) in die Sättigung gefah-ren sein. Anhand welcher Parameter und Variablen soll man beim RCD zu von den Herstellervorstellungen abweichenden Einsatz- oder Betriebsbedin-gungen kommen, die eine Änderung der Prüffrist tragen könnten? Während man bei einem elektrischen Werkzeug anhand vorzufindender Einsatzbedin-gungen durchaus nachvollziehbar an der Prüffrist arbeiten kann, spielt dies beim RCD keine Rolle. Es sitzt meist fest im Schaltschrank und löst im be-sten Fall jahrelang gar nicht selbst aus. Dieser für den Betrieb erfreuliche Umstand gibt aber für den möglichen Fehlerfall keine Sicherheit. Hier ist es im Gegenteil wichtig zu prüfen, dass ein Auslösen überhaupt noch möglich ist – das RCD also seine Funktion noch erfüllen könnte. Durch das Betäti-gen der Prüftaste wird das RCD quasi zweimal im Jahr „auf Anfang“ gesetzt. An dieser Sicherheit sollte nicht gespart werden. klar_verantwortung.indb 213 18.07.2016 16:57:55 Uhr
B Besonderer Teil 214 Obwohl also grundsätzlich möglich, wird es tatsächlich schwer fallen, al- lein basierend auf sicherheitstechnischen Erwägungen und Erkenntnissen zu einer nachvollziehbar darzustellenden Verlängerung der Frist für das Be-tätigen der RCD-Prüftaste zu gelangen. Aus diesseitiger Sicht ist es bei ver-tretbarem Aufwand nicht möglich so etwas in der Gefährdungsbeurteilung darzustellen und so Empfehlung von Hersteller, Unfallversicherungsträger und staatlichem Arbeitsschutzrecht zu übergehen. Kompendium Die Gefährdungsbeurteilung ist das zentrale Instrument im Arbeitsschutz. Eine sachgerechte Gefährdungsbeurteilung hilft am Ende des Tages, Haftun-gen zu vermeiden, da der, der Gefährdungen systematisch untersucht und strukturiert beseitigt, nicht grob fahrlässig handeln kann. Ausgehend von dem Begriff des Grenzrisikos wurde der Regelungszyklus zur Gefährdungs-beurteilung genauso betrachtet wie das STOP-Prinzip. Kernaussage des Ka-pitels ist die verantwortungsvolle Arbeitsvorbereitung, die neben dem Stand der Technik auch juristische, psychologische sowie soziologische Aspekte betrachtet. Die verantwortungsvolle Arbeitsvorbereitung ist daher ein ganz-heitlicher Ansatz. Weiterhin wurden die juristische und die persönliche Gefährdungsbeurteilung angesprochen, die es ermöglichen, drohende Haf-tungen zu betrachten und Gegenmaßnahmen einzuleiten. Sowohl die Pro-blemkreise rund um die Mitwirkung des Betriebsrats als auch beim Fehlen der Gefährdungsbeurteilung wurden gestreift. Zum Abschluss wurde auf die Prüfungen eingegangen, die in der Praxis immer wieder Anlass zu verschie-denen Diskussionen geben. Hier sei nochmals die Thematik der Erstprüfun-gen erwähnt. Auch bei Wiederholungsprüfungen – hier insbesondere im Bezug auf den anzuwendenden Normenstand – sowie beim Festlegen von Prüffristen sind Unsicherheiten festzustellen. Darauf wurde am Ende des Kapitels auch am Beispiel stationärer RCD eingegangen. klar_verantwortung.indb 214 18.07.2016 16:57:55 Uhr